Aktuell, Stand: 03.04.2018
Psychotherapeuten ziehen vor das Verfassungsgericht
Anhaltende Benachteiligung nicht hinnehmbar! - Gemeinsame Pressemitteilung bvvp, DPtV
Berlin, 3. April 2018. Die von der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) und dem Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) benannten Musterkläger haben Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.10.2017 eingelegt. Dieses hatte einen Strukturzuschlag für rechtens erklärt, der nur den überdurchschnittlich ausgelasteten Praxen zugute kommt. Das BSG war damit von seiner bisherigen Rechtsprechung zur angemessenen Vergütung psychotherapeutischer Leistungen abgewichen, die eine einheitliche Vergütung je Zeiteinheit vorsah. (Az.: B 6 KA 35/17 R).
Der ganze Text: DPtV und bvvp, gemeinsame Presseerklärung
Laufende Petition
An die Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Frau Andrea Voßhoff: Keine gläsernen Patienten - keine Telematik in der Psychotherapie
Weshalb dies wichtig ist:
"Telematik" oder "Telematikinfrastruktur" ist eine gesetzliche vorgeschriebene online‐Anbindung von Arztpraxen (Frist für die Einführung in allen Praxen: Ende 2018). Sie gefährdet den Schutz der Daten von Patienten, die sich in einer Psychotherapie befinden.
Inzwischen 8.893 UnterzeichnerInnen, 13.08.18
Verheerendes Ergebnis für die psychotherapeutische Versorgung
Berlin, 29.3.2017. Gegen die Stimmen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat der Erweiterte Bewertungsausschuss heute einen versorgungsfeindlichen Beschluss gefasst. „Mit diesem Beschluss wird die gesamte Reform der Psychotherapie-Richtlinie ausgehebelt, die ab 1.4. 2017 umgesetzt werden soll“, erklären die drei Psychotherapeuten-Verbände. Damit würden die Reformbemühungen des Gesetzgebers, psychisch kranken Patienten einen zeitnahen Zugang zur Psychotherapie zu ermöglichen, nicht gefördert, sondern erschwert.
Die komplette Stellungnahme hier
DIE NEUEN PSYCHOTHERAPIERICHTLINIEN
Ab dem 01.04.17 gilt ein neuer gestufter Zugang zur Psychotherapie:
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Sprechstunde (max. 3 x 50 Min.) zur orientierenden Diagnostik, Abklärung des individuellen Behandlungsbedarfs, Informationen, ggf. Aufzeigen von Behandlungsalternativen. Die Sprechstunde wird für PatientInnen als Eingangstor ab 01.04.18 rechtsverbindlich.
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Bei voraussichtlicher Therapieindikation Probatorische Sitzungen (2 - max. 4 x 50 Min.) zur weiteren Klärung des Krankheitsbildes, Eignung des Therapieverfahrens, Motivation, therapeutische Passung, Behandlungsumfang und Häufigkeit der Behandlungen.
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Akutbehandlung (max. 12 x 50 Min., anzeigepflichtig bei der Krankenkasse) als zeitnahe Intervention in akuter Krise zur Entlastung und Stabilisierung. Falls danach reguläre Psychotherapie nötig sein sollte, müssen 2 Probatorische Sitzungen durchgeführt werden.
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Kurzzeittherapie, KZT 1 + KZT 2 (jeweils max. 12 Sitzungen x 50 Min., antragspflichtig, Wartezeit von 3 Wochen bis zur formalen Genehmigung durch die Krankenkasse).
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Langzeittherapie, LZT (max. 60 x 50 Min., gutachterpflichtig).
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Fortführung der Langzeittherapie, LZT (max. 40 x 50 Min., Gutachterpflicht im Ermessen der Krankenkasse).
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Rezidivprophylaxe (max. 16 x 50 Min., ) zur Nachsorge am Ende einer Langzeittherapie. Die Sitzungen sind Teil des genehmigten Stundenkontingents für Langzeittherapie.
Bewertung:
Es ist sehr zu begrüßen, dass unsere Berufsvertreter (z.B. DPtV, bvvp) in bestimmten Gremien an Beratungen teilnehmen konnten. Nach deren Aussage hätten sie verhindern können, dass Ärzte die Steuerung für Psychotherapie wieder übernommen hätten wie zu Zeiten des Delegationsverfahrens (vor Inkraftsetzen des Psychotherapeutengesetzes 1999). So wurde das Erstzugangsrecht zur Psychotherapie gewahrt. Außerdem sei eine zentrale Koordinierungsstelle verhindert worden, die die freie Therapeutenwahl für PatientIinnen und die Freiberuflichkeit der PsychotherapeutInnen massiv eingeschränkt hätte.
Als Nachteil kommen auf alle PsychotherapeutInnen neue Belastungen durch eine umfangreichere Organisation und größeren Zeit- und Energieaufwand zu. Es ist zu erwarten, dass durch die Umstrukturierungen versteckte Honorarkürzungen auf unsere Berufsgruppe zukommen, zumal das Honorar für unsere Kernleistung (Richtlinienpsychotherapie) weiterhin nicht verfassungskonform ausfällt.
DAS CHRONISCHE WARTEZEITEN-PROBLEM
Viele gesetzlich Versicherte versuchen zunächst aus eigener Kraft und mit Unterstützung ihres Umfeldes, mit ihren Beeinträchtigungen und Beschwerden zurecht zu kommen. Erst "wenn es gar nicht mehr geht" wagen Viele den Weg zum Profi. Die meisten machen dann jedoch die frustrierende Erfahrung, dass die Psychotherapeuten nicht erreichbar sind, nicht zurückrufen, von Aufnahmestopp oder bestenfalls von mehrwöchigen Wartezeiten reden. Diese Situation ist für uns Psychotherapeuten auch belastend, zumal unsere Berufsgruppe seit Jahrzehnten eine realitätsgerechte Ermittlung und Anpassung des Bedarfs an krankenkassenzugelassenen Psychotherapeuten fordert.
AKTUELLES:
Im Juni 2016 wurden die sogenannten Psychotherapie-Richtlinien mit dem Ziel verändert, die Lage für Patienten zu entschärfen (lange Wartezeiten bei weiterhin fehlender Bedarfsplanung). So sollen beispielsweise über die Einführung einer "Sprechstunde" mehr Möglichkeiten für eine Sofort-Hilfe für Betroffene geschaffen werden. Klingt auf den ersten Blick sinnvoll. Nur, wie soll das gehen, wenn auch Psychotherapeuten nur einen 24-Stunden-Tag haben? Durch Einführung zusätzlicher Sprechstunden und Telefonbereitschaften sinkt automatisch die Anzahl der regulären Psychotherapien. Viele Kollegen arbeiten bereits chronisch an ihrer Belastungsgrenze. Durch die gegebenen Rahmenbedingungen ist zu befürchten, dass sich die Versorgungslage noch weiter verschlechtern wird.
Ein Kollege aus Hamburg bringt die Situation mit seinem Kommentar zu den neuen Psychotherapie-Richtlinie sehr treffend auf den Punkt:
Bürokratiemonster verschärft Versorgungskrise
Eigentlich sollte der Gemeinsame Bundesausschuss aus Ärzten und Gesetzlichen Krankenkassen (G-BA) Maßnahmen ergreifen, um die bestehenden Missstände im Bereich der Versorgung mit Psychotherapie abzumildern. Herausgekommen ist das genaue Gegenteil: falls die am 16.06. von Vertretern der Krankenkassen und Ärztefunktionären beschlossenen Regelungen umgesetzt werden, droht eine Verschärfung der bereits bestehenden Versorgungskrise.
Die Ausgangslage: Die von den Gesetzlichen Krankenkassen bezahlte Psychotherapie ist seit jeher mit bürokratischen Regelungen überfrachtet und chronisch unterfinanziert. Da Patienten infolgedessen immer länger auf eine notwendige Psychotherapie warten müssen, war dem G-BA aufgetragen worden, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung der betroffenen Patienten zu verbessern. Insbesondere sollte ein schneller Termin beim Psychotherapeuten zur ersten Abklärung der Beschwerden ermöglicht werden.
Beschlossen wurden aber jetzt Regelungen, die die Versorgung der Patienten weiter verschlechtern werden. Erste Schätzungen ergeben, dass Psychotherapeuten allein zur administrativen Bewältigung der vorgesehenen Regelungen, Vorschriften und Anträge jede Woche bundesweit 60.000 Stunden weniger zur Behandlung psychisch Erkrankter zur Verfügung stehen werden. Das bedeutet im Schnitt für jeden Patienten, der eine Psychotherapie benötigt, 3 Monate mehr Wartezeit. "Setzen, sechs" hätte das in der Schule geheißen.
Seit Jahren versagt die sogenannte Selbstverwaltung aus Kassen- und Ärztevertretern bei der Aufgabe, die Versorgung von Patienten mit psychischen Erkrankungen sicherzustellen und dafür die nötigen Finanzmittel bereitzustellen. Vielleicht sollte man statt offensichtlich unfähiger oder unwilliger Ärzte- und Kassenfunktionäre einfach mal die Psychotherapeuten mit der Aufgabe betrauen, Lösungen zu finden - die sind nämlich im G-BA bisher überhaupt nicht vertreten.
Viel lieber wäre uns die folgende (fiktive!) Stellungnahme gewesen, für die angesichts der zementierten Macht- und Interessenverhältnisse jedoch ein großes Wunder nötig wäre:
Effektive Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung von psychisch belasteten Menschen beschlossen
Hoch erfreut zeigen sich alle Berufsverbände der Psychotherapeuten über die am 16.06. gefassten Beschlüsse des G-BA. Durch die Abschaffung der bestehenden Überregulierung im Bereich der Psychotherapie (das völlig überflüssige Gutachter-Verfahren entfällt zukünftig) und das Streichen der widersinnigen Regelung, dass die ersten Gespräche mit neuen Patienten noch sehr viel schlechter vergütet werden als die ohnehin unterbezahlten regulären Therapiestunden (ärztliche und psychologische Psychotherapeuten erhalten im Schnitt nur die Hälfte der üblichen haus- und fachärztlichen Vergütung), ist dem G-BA ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Versorgung gelungen. Parallel dazu werden auch die Krankenkassen von unnötigem bürokratischen Aufwand entlastet.
Für die schlechte Versorgungslage im Bereich Psychotherapie sind nicht die ausgelasteten PsychotherapeutInnen verantwortlich sondern auf gesundheitspolitischer Ebene die Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und die Kassenärztliche-Bundes-Vereinigung (KBV), zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) als oberster Rechtsaufsicht.
Wenn Sie wollen, dass sich nachhaltig etwas für alle Betroffenen in Deutschland ändert, können Sie bei den genannten verantwortlichen Entscheidern eine endlich adäquate Bedarfsplanung einfordern (auch über Ansprache von Politikern Ihres Landkreises).
Es kann auch hilfreich kann, sich einer Patientenvertretung anzuschließen, damit diese sich gegenüber den "Big Playern" im Gesundheitsmarkt für Ihre Rechte und Interessen einsetzt und Sie darüber gut informiert.
HONORARSITUATION VON PSYCHOTHERAPEUTEN
Die Honorare für zeit- und personenintensive Psychotherapie sind seit Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes 1999 nicht verfassungskonform und wirken sich schädlich auf eine patientengerechte Versorgung aus. Zielhonorar für eine betriebswirtschaftlich gesunde Praxis müssten sein: 180 EU Umsatz / Sitzung (genehmigungspflichtige Richtlinien-Psychotherapie).
Für mehr Informationen:
- Psychotherapeuten fordern rechtssicheren Beschluss zur Vergütung, 3/17
- Psychotherapeutische Vergütung geht immer weiter in den Keller - DPtV fordert KBV und Krankenkassen auf, endlich zu handeln, 2/17
- Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses: Rechtswidrig und schädlich für die Versorgung, 2/15
- Pressemeldungen für Anfänger
- Aktionstag Psychotherapie, Berlin, 25.09.2014
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